Prof. Dr. Mirjam Schaub

Professorin für Philosophie

[email protected]

Berlin, 4. Juli 2020

nur über letzteren zu sprechen: „Von dem Land hinab zu gehen“ bezeichnet die Schwierigkeit, als in Israel geborene und zunächst auch ausgebildete Künstlerin, das eigene Land zu verlassen, ohne dass dies als eine Form der Desolidarisierung aufgefasst wird, zumal dann, wenn der Weg nach Deutschland führt. Michal Fuchs widmet der Dringlichkeit der „jüdischen Frage“, dem Zionismus und dem damit verbundenen ‘Gebot’ der Alija („in das Land hinauf zu gehen) die ersten Kapitel ihrer schriftlichen Diplomarbeit, bevor sie sich der nicht nur geographischen Gegenbewegung zuwendet. Im Ausgang von Stefan Heyms Buch „Ahasveros“ stößt Fuchs auf die – polemische und in sich widersprüchliche – christliche Erfindung des „ewigen Juden“ als dem Inbegriff eines entwurzelten und immer wieder ‚Luftwurzeln’ schlagenden Menschen, der unergründlich, unwandelbar sich selbst gleicht und dabei seltsam ungreifbar bleibt – und sich damit umso angreifbarer und verdächtiger macht.

Fuchs‘ Kunstgriff besteht nun darin, diesen ‘Verdacht’ bis in die Namensgebung der mexikanischen Dreimasterblume hinein zu verfolgen – und eben diese Pflanze, die sie abformt und abgießt, in das Zentrum des ersten Teils ihrer praktischen Arbeit zu stellen. Die Pflanze mit dem botanischen Namen tradescantia pallida wird im Hebräischen wie im Englischen als ‘wandernder Jude’ bezeichnet, da sie extrem anpassungsfähig ist, schnell Wurzeln schlägt. Als Gußabformen sind diese biegsamen (d.h. nicht gerade nach oben wachsenden) Pflanzen nun nicht nur in das Medium Metall getaucht, sondern über mit Wasser gefüllten Schalen aufgehängt, die mit einer Folie abgedeckt sind, wie von Innen heraus leuchten und spiegeln zugleich. Statt Wurzeln zu schlagen, bildet sich an der minimalen Kontaktstelle zwischen Metall und Wasser binnen Tagen ein feines Pulver aus Rost, das langsam ins Wasser diffundiert. Die Metallpflanzen wirken filigran, expressiv in dem je anderen Twist, indem sie sich zur Decke strecken und recken, obgleich sie hängen: ein kleines trompe d’œil.

Dem wandering Jew ist im nächsten Raum eine andere Wüstenpflanze aus Mexiko gegenübergestellt, der Tzabar, eine – wie üblich stachelige – Kaktusart, die in Israel interessanterweise sowohl den Palästinenser_innen alsauch den israelischen Siedler_innen in der Wüste (Negev) ein Identifikationsangebot durch seine Wehrhaftigkeit und Widerstandskraft macht. Wer nach 1940 in Israel geboren wurde, bezeichnet sich, wie Fuchs in ihrer Arbeit schreibt, gerne als Tzabar. Die ausgestellten Pflanzenabgüssen bilden damit zweierlei Register zur Selbstdeutung aus, ihr Symbolgehalt ist genau entgegengesetzt. Nur – das Thema des Wurzelschlagens ist damit nicht aus Welt, sondern kehrt mit doppelter Wucht zurück. Denn der Tzabar, den Michal Fuchs ausstellt, besteht aus glänzendem Aluminium: auch er ist von der Decke gehängt, was ihm eine gewisse Hilflosigkeit verleiht. Seine Entwurzelung ist offenkundig. Aus einer im Gebälk versteckten Infusion tropft Wasser entlang der Aufhängung, bildet Spuren wie Tränen auf den nachgebildeten Kaktus und endet auf dem Boden in einer täglich anwachsenden Rostpfütze, die auch nach dem Ende der Ausstellung auf dem Boden der Autowerkstatt zurückbleiben wird. Die Sinnlichkeit des Rostes – in einer alten Autowerkstatt handelt es sich um Spur, die sich sofort ‘naturalisiert’, die ihr eigenes Übersehen-Werden mit bedacht hat.

 

Michal Fuchs setzt ihre Interventionen in diesem zweigegliederten Raum mit Ober- und Seitenlicht  genau und präzise. Auch wer die Übersetzungsprozesse zwischen Spottnamen, Fremdbeschreibung und Selbstaneignung nicht kennt, kann aufgrund der ästhetischen Setzungen und materiellen Qualitäten seine Schlüsse aus der Nähe und Distanz der Objekte und ihrer je eigenen Beziehung zu Himmel und Erde ziehen. (Der Raum verfügt auch über Oberlichter.) An den Wänden bzw. auf den Nischen der Fenster befindet sich außerdem getrocknetes oder eingelegtes organisches Material der beiden seltsam flüchtigen Kulturpflanzen aus Mexiko, die entgegengesetzte Überlebensstrategien verkörpern. Wer die Ohren spitzt, begreift, dass das Geräusch eines tropfenden Hahnes die Szenerie rhythmisiert – verhalten dramatisiert; gleichsam einen ‘Vorgeschmack’ liefernd auf den tropfenden Tzabar im 2. Raum.

Die schriftliche Arbeit enthüllt das autobiographische Motiv erst auf der allerletzten Seite. Es finden sich filigrane Zeichnungen der Raumsituation und Anordnung der Skulpturen, welche eine präzise Analyse der räumlichen Situation in der ehemaligen Autowerkstatt Alder in der Gutenbergstr. in Halle erkennen lassen. Beispiele aus der Kunstgeschichte, Gemälde von Ruben Rubi, Dani Karavan, Michael Halak und Abel Pann bereichern und rahmen klug die Auseinandersetzung mit dem Thema. Empathie und kritische Distanz halten sich zwischen den Zeilen nahezu perfekt die Waage.

Beeindruckend ist die Übersetzungsleistung, die Michal Fuchs mit ihren Arbeiten vornimmt. Kulturelle Selbstverhältnisse, unterschiedlichen Jahrhunderten und damit unterschiedlichen Notwendigkeiten innerhalb der jüdischen Geschichte geschuldet, werden nicht einfach metaphorisch, sondern ganz konkret, sinnlich und manifest in Gebilde organischer Vorbilder übersetzt. Diese wiederum durchlaufen einen Übersetzungsprozess in das Medium Metall, um dann – wiederum „beim Wort“, d.h. beim Eigensinn ihres neuen Materials genommen – mit Wasser in Berührung gebracht werden. Darauf ‚antworten‘ sie mit der Bildung von Rost. Der hinterlässt wiederum auf dem Boden der Wasserbecken wie auf dem Boden der Werkstatt Flecken. Flecken, die Michal Fuchs richtiger Weise „Spuren“ nennt. Auf diese kommt es ihr an. Die Konkretion, das Ernstnehmen der jeweiligen künstlerischen Setzung, das Ausloten des Spektrums des dann Möglichen, ja, logisch Folgenden, macht die Arbeiten zu einem intellektuellen Gewinn. Der Gewinn entspringt dem Wettstreit mit der sinnlichen Wirkweise von Formgebung und Material und wird auf jeder Stufe der gewählten ‘Übersetzung‘ neu vermessen. Übersetzen heißt – das Unbegreifliche versuchen, begreifbar zu machen.Michal Fuchs macht komplexe Sachverhalte sinnlich erfahrbar. Ihr Spiel mit der Hängung und das Bespielen der Aufhängungen mit rinnendem Wasser erinnert daran, dass sich Abstraktion (auf ganz unterschiedlichen Niveaus) und Konkretion (durchdrungen von verschiedenen Sinnangeboten) hier in einem diskursiven wie sinnlichen Austausch befinden.